Konsumentenschutz tobt: Dynamische ÖV-Preise «sind Willkür»

Publiziert

Konsumentenschutz tobtDasselbe Ticket kostet bis zu 40 Prozent mehr – «das ist Willkür»

Die ÖV-Branche testet dynamische Preise für Bahn und Bus. Verkehrsclub und Konsumentenschutz warnen vor Willkür, Fantasiepreisen und teureren Tickets.

Die ÖV-Branche testet mit «Myride» 2024 ein Modell mit dynamischen Billettpreisen.
Die Alliance Swisspass schwärmt von einem «zukunftsgerichteten Ansatz».
Konsumentenschützer und der VCS sind empört, sie befürchten willkürliche Preise. 
Aufgenommen am 21.11.2023.
1 / 5

Die ÖV-Branche testet mit «Myride» 2024 ein Modell mit dynamischen Billettpreisen.

20min/Celia Nogler

Darum gehts

  • Bei Bahn und Bus könnte es bald «dynamische Preise» geben.

  • Die ÖV-Branche testet nächstes Jahr ein Modell mit flexiblen Fahrpreisen.

  • Konsumentenschützer und der VCS wehren sich.

  • Flexible Preise nützten nicht den Kundinnen, sondern nur dem Unternehmen, sagen sie.

Vor der Fahrt ein Billett lösen, einsteigen und losfahren. Das könnte bald immer mehr der Vergangenheit angehören. Neben Diensten wie «Easyride», wo das Handy während der Fahrt die Strecke aufzeichnet und erst danach die Kosten abrechnet, testet die ÖV-Branche im nächsten Jahr eine Weiterentwicklung namens «Myride», wo der Preis der einzelnen Fahrt am Ende des Monats davon abhängt, ob jemand viel oder wenig gefahren ist.

Während die Alliance Swisspass von einem «zukunftsgerichteten Ansatz» schwärmt, warnen die Stiftung für Konsumentenschutz und der Verkehrsclub VCS am Dienstag an einer Medienkonferenz eindringlich vor einer Vernebelung des Billettpreises.

Je nachdem könne die gleiche Fahrt von Bern nach Pontresina mal 55.50 Franken, mal 67.90 Franken und mal 49.30 Franken kosten, rechnen sie vor. Das dürfe es im ÖV nicht geben, finden die beiden Verbände. Der Billettpreis müsse berechenbar bleiben – auch in Zukunft.

Was ist das Problem an dynamischen Preisen?
Sara Stalder*: Den Leuten wird mit diesem Preissystem immer mehr das Gefühl dafür genommen, was ein Produkt oder eine Dienstleistung wirklich kostet. Und genau das ist auch der Sinn von dynamischen Preisen. Deren einziger Zweck aus Sicht der Unternehmen ist letztendlich, dass wir alle am Ende mehr bezahlen. Die Preise werden undurchsichtig und unberechenbar, das öffnet versteckten Preiserhöhungen Tür und Tor.

«Der Damm ist gebrochen.»

Sara Stalder, Stiftung für Konsumentenschutz

Immer mehr Preise werden «dynamisch», sei es bei Skigebieten, Flügen, Hotelzimmern und vielleicht bald im ÖV. Können Sie diese Entwicklung noch stoppen?
Dort, wo der freie Markt gilt, kann man nichts mehr machen, dieser Damm ist gebrochen. Und da hat auch die bürgerliche Mehrheit der Schweizer Politik keinerlei Motivation, gesetzgeberisch zu wirken, weil die Wirtschaftsfreiheit für sie über allem steht. Ein grosser Unterschied sind aber Service-public-Dienstleistungen wie der ÖV.

Würdest du öfter den ÖV nutzen, wenn er günstiger wäre? 

Warum hoffen Sie, dass es beim ÖV nicht so weit kommt?
Bei einer Service-public-Dienstleistung, wie dem öffentlichen Verkehr, muss der Preis für alle gleich und für alle transparent sein. Das ist derzeit auch gesetzlich so geregelt und das muss auch bleiben. Der öffentliche Verkehr ist ein Monopolmarkt und er ist staatlich reguliert. Im Gegensatz zur restlichen Wirtschaft kann die Politik den Bahnunternehmen also diese gesetzliche Vorgabe machen.

Der Preis wird immer mehr von Willkür abhängig. 

Sara Stalder, Stiftung für Konsumentenschutz

Sind die Leute genervt von dynamischen Preisen?
Ja. Unsere Rückmeldungen zeigen das klar. Doch die Firmen lassen sich auch von verärgerten Kundinnen und Kunden nicht stoppen. Für Konsumentinnen und Konsumenten ist das keine gute Nachricht, es führt dazu, dass das, was man am Ende zahlt, immer mehr von Willkür abhängig ist.

Haben Sie Tipps für Konsumentin oder Konsumenten?
Wenn es ein gutes Vergleichsportal gäbe, wo wirklich sämtliche Preise einer Dienstleistung zu sehen sind, wäre das hilfreich, das gibt es aber leider noch nicht. Die Leute werden mit oder ohne Vergleichsportale immer mehr Zeit brauchen, um Preise zu recherchieren – ansonsten wäre es möglich, dass sie irgendeinen Fantasiepreis bezahlen.

*Sara Stalder ist Geschäftsleiterin des Schweizer Konsumentenschutzes

Keine News mehr verpassen

Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.

Deine Meinung zählt

260 Kommentare
Kommentarfunktion geschlossen