Nachhaltigkeit«Man sollte vermitteln, welche Massnahmen wirklich nützen»
Wir schreiben hier über Nachhaltigkeit und Visionen. Aber sind wir Menschen überhaupt bereit dazu, unser Leben dahingehend anzupassen? Und ödet der Begriff nicht langsam an? Dr. Swen Kühne, Umweltpsychologe an der ZHAW, gibt Auskunft.
Darum gehts
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir Menschen unser Verhalten ändern.
Die Umweltpsychologie beschäftigt sich u. a. damit, wie wir mit diesem Druck umgehen.
Man spricht etwa von «moralischem Lizenzieren», wenn man sich etwa mehrere Flüge pro Jahr gönnt, weil man zu Hause kaum Plastik verwendet.
Experten betonen, man müsse uns klarer sagen, welche Massnahmen wie effektiv seien.
Lieber Herr Kühne, Nachhaltigkeit ist DAS Thema. Kein Mensch, kein Unternehmen, keine Institution kommt darum herum. Führt das zu einer Inflation des Begriffs?
Swen Kühne: Ich nehme wahr, dass eine Mehrheit beunruhigt und alarmiert über den Zustand des Planeten ist. Zudem wollen die meisten Menschen, dass der Nachhaltigkeitsthematik mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch einige Personen, welche zweifeln oder sagen, dass sie der Thematik klar überdrüssig sind. Die sind aber in der Schweiz in der Minderheit.
Ist das Thema Nachhaltigkeit eigentlich komplex oder völlig banal – im Sinne von «weniger konsumieren, weniger Schaden anrichten, nachhaltiger leben»?
Im Grundsatz ist es einfach: Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ressourcen so nutzen, dass wir und alle kommenden Generationen kurz- und langfristig genug davon haben. Sobald wir jedoch in die Tiefe gehen, wird es sehr komplex. Wichtig ist die Frage: Welches Handeln hat den grössten Effekt auf die Nachhaltigkeit?
Heute wimmelt es in den sozialen Medien von Tipps zum nachhaltigen Leben. Das führt dazu, dass man oft daran scheitert, sagen zu können, was man tun und lassen darf. Oder scheitert man tatsächlich schlicht am eigenen Willen?
Die Wissenschaften und die Medien sollten Informationen so aufbereiten, dass sie für jede Person verständlich sind. Es geht vor allem um die Frage, was wirklich etwas bringt und was Symbolhandlungen sind. Beispielsweise ist es in Bezug auf die Treibhausgasemissionen viel relevanter, welche Produkte wir einkaufen, als ob wir am Ende noch ein Plastiksäckli kaufen. So verursachen 200 Gramm Rindfleisch rund 2,6 Kilogramm Treibhausgase, da fällt das Plastiksäckli mit 0,1 Kilogramm kaum mehr ins Gewicht. Wir müssen nicht alle unsere Gewohnheiten über den Haufen werfen, aber es lohnt sich, auf ganz spezifische Dinge zu achten. Welche das sind, wird nicht immer gut herausgearbeitet.
Zum Beispiel?
In der Stromsparkampagne des Bundes im Winter 22/23 wurden verschiedene Handlungen angepriesen, ohne deren Wirkungen aufzuzeigen. So ist der Effekt, die Heizung langfristig 1 °C herunterzudrehen, um ein Vielfaches grösser, als wenn konsequent das Licht gelöscht wird.
Richtig informiert werden ist eins, aber oft legt man sich die Dinge ja auch so zurecht, wie man will, bzw. handelt komplett widersprüchlich.
In der Psychologie sprechen wir hier von «moralischem Lizenzieren». Wir haben das Gefühl, wenn wir an einem Ort moralisch richtig handeln, dann gibt es uns die Rechtfertigung, an einem anderen Ort weniger moralisch zu handeln.
Man versucht zum Beispiel tunlichst, den Plastik im Haushalt zu vermeiden, fliegt aber viermal pro Jahr in den Urlaub.
Zum Beispiel, ja. Ein Flug nach New York und zurück verursacht 2500 kg Treibhausgase. Das Verbrennen des Plastiks im Haushaltsabfall einer Person pro Jahr etwa 300 kg Treibhausgase. Plastik vermeiden oder recyceln ist natürlich trotzdem eine gute Sache, auch wenn der Effekt deutlich kleiner ist als beim Vermeiden des Fluges.
Es gibt Konzerne – Beispiel Ikea –, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben, obwohl ihr Geschäftsmodell dem eigentlich entgegensteht. Es geht um Fast Furniture. Kann man multinationalen Konzernen überhaupt noch trauen?
Es gibt Beispiele von multinationalen Konzernen, welche Nachhaltigkeit leben und damit einen Mehrwert für die Organisation und die Gesellschaft erbringen. Wir müssen neue Wege finden, eine nachhaltige Ökonomie zu entwickeln, welche nicht nur auf kurzfristige Gewinne auf Kosten der Umwelt und der Arbeitenden aus ist.
Weniger zu konsumieren werde nicht funktionieren, weniger zu fliegen auch nicht, sagen viele. Was dann?
Der Bericht des Klimarats stellt klar, dass neben den technologischen Massnahmen massgebliche Verhaltensveränderungen nötig sind, um die Klimaziele zu erreichen. Ganz ohne diese wird es nicht gehen. Im Bericht steht klar, dass die Folgen dramatisch sind, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen. Entsprechend sollten wir wirklich versuchen, weniger zu konsumieren und weniger zu fliegen.
Wir haben hier kürzlich eine Story über ein Start-up gemacht, das Nachtbusse baut, die einen nachhaltig und bequem nach Barcelona bringen. Einige kommentierten darauf: Fliegen sei günstiger und schneller. Wird die Masse je bereit sein, für die Umwelt Kompromisse einzugehen?
Die Masse ist durchaus schon heute bereit, wenn sich der Kompromiss in einem gewissen Rahmen bewegt. In der Regel sind die Leute bereit, zehn bis 30 Prozent Aufpreis für eine nachhaltige Alternative zu bezahlen. Wenn ein Flug jedoch 50 Franken kostet und der Zug oder der Bus 200 Franken, dann entscheidet sich die Mehrheit für den Flug. Um den Flug unattraktiver zu machen, müsste die Politik handeln. Beispielsweise könnte man die Umweltkosten, die solche Nah-Flüge verursachen, in die Ticketpreise einrechnen. Damit würde das Fliegen teurer und solche Nachtbus-Angebote attraktiver.
Hier bei «Wir sind Zukunft» berichten wir über alle möglichen Themen rund um Nachhaltigkeit und Visionen. Wir hoffen natürlich, die Leute damit zu einem nachhaltigeren Leben zu inspirieren. Kann das überhaupt funktionieren?
Ja, weil Sie darauf setzen, Menschen zu inspirieren, statt sie für ihr Verhalten zu kritisieren. Den meisten Menschen ist das Risiko des Klimawandels unterdessen bewusst und sie suchen nach Informationen, was sie dagegen tun können. Nun ist es wichtig, darüber zu berichten, welche Handlungen wie stark wirken.
Bitte sagen Sie uns: Kommt alles gut?
In Anlehnung an Novalis würde ich sagen: Alles kommt gut, nur nicht überall, nur nicht immer und nur nicht für alle. Die Bevölkerung in Küstennähe wird es laut Berechnungen beispielsweise schwer haben.
Umfrage: Bist du bereit, im Zeichen der Nachhaltigkeit auf Dinge zu verzichten oder mehr zu bezahlen?
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