Schweiz–EU«Von SVP bis Gewerkschaften formiert sich Widerstand»
Stefanie Walter, Professorin für internationale Beziehungen an der Universität Zürich, ist nicht optimistisch im Hinblick auf ein Abkommen mit der EU.
Darum gehts
Der Bundesrat hat am Mittwoch entschieden, dass er 2024 mit der EU wieder über ein Abkommen verhandeln will.
Opposition gibt es von links und von rechts, gleichzeitig sind gewisse Punkte noch nicht geklärt.
Es gelte für die Schweiz, ein paar «Kröten» zu schlucken, aber für die EU ja auch, sagt Politologie-Professorin Stefanie Walter.
Am Mittwoch hat der Bundesrat entschieden, dass er ab 2024 wieder mit der EU verhandeln will. Die EU verlangt die Klärung institutioneller Fragen, und die Schweiz will bestehende Abkommen aktualisieren sowie neue Verträge abschliessen, etwa im Bereich Strom. Bis Ende Jahr soll das Verhandlungsmandat stehen. 2021 hatte die Schweiz die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen abgebrochen. Danach fanden Sondierungsgespräche zwischen Vertretern der Schweiz und der EU statt. Nun ist für den Bundesrat die Zeit offenbar reif, wieder am Verhandlungstisch zu sitzen.
Frau Walter, der Bundesrat will wieder mit der EU verhandeln. Wie stehen die Chancen auf erfolgreiche Verhandlungen?
Es ist grundsätzlich positiv, dass nun wieder etwas läuft in den bilateralen Beziehungen. Diese waren durch den Verhandlungsabbruch vom Mai 2021 schwer belastet. Doch es ist noch ein langer Weg. Ich bin nicht so optimistisch, dass ein Abkommen bis Juni zustande kommt.
Wieso?
Zum einen wird es zeitlich eng. Zum anderen zeigen sich schon wieder erste Differenzen. Der Bundesrat scheint davon auszugehen, dass in den Verhandlungen alle zentralen Punkte wieder auf den Tisch kommen. Für die EU hingegen sind die Ergebnisse der Sondierungsgespräche die Grundlage für Verhandlungen. Und drittens bringt sich innenpolitisch bereits ein breites Feld von Gegnern in Stellung, von der SVP bis zu den Gewerkschaften. Dass es zusätzlich innerhalb des Bundesrats Unstimmigkeiten zu geben scheint, ist sicher auch nicht hilfreich.
«Es gibt ein paar Kröten zu schlucken. Aber für die EU ja auch.»
Nicht nur SVP und Gewerkschaften lehnen ein Abkommen ab, auch der Bundesrat ist skeptisch. Hat eine Einigung überhaupt eine Chance?
Die Verhandlungen werden jedenfalls schwierig, so, wie es jetzt aussieht. Und selbst wenn der Bundesrat sich mit der EU einigt, hätte es ein Abkommen vor dem Volk schwer, wenn es von einer unheiligen Allianz bekämpft wird. Obwohl Umfragen immer wieder zeigen, dass eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung geregelte Beziehungen zur EU befürwortet.
Die EU will ja die Verhandlungen bis im Juni abgeschlossen haben.
Das erzeugt zusätzlichen Druck. Allerdings ändert sich die personelle Zusammensetzung der EU-Kommission nach den EU-Wahlen Mitte 2024 wieder. Auch das macht Verhandlungen schwieriger. Hinzu kommen die aktuellen geopolitischen Veränderungen, wodurch Verhandlungen mit der Schweiz auf der Prioritätenliste der EU nach hinten rücken.
Ist die Ausgangslage jetzt für die Schweiz vergleichbar gut wie 2021, als die Verhandlungen abgebrochen wurden?
Die Ausgangslage ist aus meiner Sicht etwas schlechter, einerseits wegen der Weltlage, andererseits wegen des Vertrauensverlustes, den der Verhandlungsabbruch ausgelöst hat. Aber insgesamt sind viele Dinge immer noch ähnlich wie mit dem Entwurf des Rahmenabkommens. Es gibt ein paar Kröten zu schlucken, aber für die EU ja auch.
Ist eine baldige Einigung mit der EU realistisch?
Welche sind das für die Schweiz?
Die mögliche Aufweichung des Lohnschutzes mit der Anpassung der Anmeldefrist und des Spesenreglements für Gastarbeiter sind ein Punkt. Ein weiterer ist der Europäische Gerichtshof in Luxemburg als Gerichtsinstanz, der von rechts abgelehnt wird. Neu dazugekommen ist der Wunsch der EU, den Landverkehr zu liberalisieren. Sie möchte also die Möglichkeit haben, dass andere Unternehmen das Schweizer Schienennetz nutzen können.
Ist die EU heute stärker interessiert an einer Einigung mit der Schweiz? Sie macht zeitlich Druck.
Das hat mehr damit zu tun, dass sie die Sache endlich abschliessen will. Für die Schweiz sind die Beziehungen zur EU wichtiger als für die EU die Beziehungen zur Schweiz. Und für die Schweiz tickt die Uhr. Es wird zunehmend spürbar, was eine Erosion des bilateralen Wegs bedeutet.
Wo spürt man das?
Nächstes Jahr wird wohl die Maschinenindustrie in Mitleidenschaft gezogen aufgrund einer neuen EU-Verordnung, welche den administrativen Aufwand für Schweizer Firmen erhöht. Die Medizinaltechnikgüterindustrie und die Forschung leiden schon länger. Und 2025 könnten wir Schwierigkeiten bei der Stromversorgung bekommen, weil die EU neue Strommarkt-Regeln einführt, welche Drittstaaten benachteiligt. Wenn der Strom ausgeht, dann erwachen vielleicht die Gegner und vielleicht steigt dann die Bereitschaft für ein Abkommen mit der EU. Wenn die Schweiz dann aber auf die Schnelle ein Abkommen möchte, senkt das ihre Verhandlungsmacht.
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