Zürich«Ich will nicht meine Freundinnen verlieren»
105 Mietparteien an der Neugasse 81 bis 85 in Zürich müssen bis Ende März ihre Wohnungen verlassen. Am Sonntag findet eine Kundgebung statt.
«Wir müssen weg von hier, und die Kinder aus der Schule nehmen»: Sugus-Haus-Bewohnerin Laura hält eine emotionale Rede und gibt sich kämpferisch.
Céline TrachselArtikel zu diesem Thema
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«Ich werde nicht gehen»
Auch Viljdane Agusi (40) mit ihrem Mann und zwei Kindern (6 und 16) hat eine Kündigung erhalten. Ihr Vater (65) hatte noch die Baugerüste der Wohnungen gebaut. Leopold Bachmann habe ihm damals gesagt, die Wohnungen seien doch genau das Richtige für ihn.

Der Vater von Viljdane Agusi (40) hat beim Bau der Sugus-Häuse geholfen. Jetzt haben Agusi mit ihrem Mann und zwei Kindern (6 und 16) die Kündigung erhalten.
20minDann bewarb sich der Vater. Dieser Vater wohnt jetzt in einer anderen Reihe und muss nicht raus. Viljdane mit Mann und zwei Kindern (16 und 6) hingegen schon. «Aber ich ich werde nicht gehen, ich werde mich mit allen anderen wehren und weiter hoffen, dass wir bleiben können.» Regina Bachmann wisse noch gar nicht, dass sie ein gutes Herz habe. «Wie ihre ganze Familie!»
«Es ist einfach unser Zuhause, wir sind so verwurzelt hier»
Laura Egloff (40) hielt eine emotionale Rede gegen den Mieter-Rausschmiss. Sie wohnt schon seit 20 Jahren in einem der Sugus-Häuser. «Es ist einfach unser Zuhause, wir sind so verwurzelt hier. Und das soll jetzt alles so schnell-schnell vorbei sein», sagt sie im Interview.
Es sei unmöglich, bei dem schnellen Tempo nachzukommen – sowohl emotional als auch organisatorisch. Bei der Rede sei sie emotional geworden, weil sie so viele Gesichter in der Menge gekannt habe. «Man sieht sich täglich, kennt das Zuhause der anderen und die Geschichten», sagt Egloff. Das sei letztlich das, was sie als Mensch ausmache.
Laura Egloff (40) muss ihre Kinder wegen der Kündigung mitten während des Schuljahres von der Schule nehmen.
20minOb sie sich vorstellen könne, ein neues Leben zu beginnen – etwa in Oerlikon oder Kloten? «Wenn es sein muss, dann muss es sein», sagt sie. Aber innerhalb von drei Monaten sei das schlichtweg nicht möglich. Auch die Kinder während des Schuljahrs von der Schule nehmen zu müssen, sei «voll denäbe».
Jacqueline Badran: «Wir haben einen illegalen Zustand»
Auch SP-Nationalrätin Jacqueline Badran hat an der Demo eine Rede gehalten. Jetzt koste eine Wohnung aufgerundet etwa 2000 Franken. «Die Sanierungskosten kann der Eigentümer voll auf die Mietenden abwälzen», so Badran. Vermieten könne er sie danach aber wohl eher für 3600 Franken.
«Ich werde euch bis zum letzten Quadratmeter unterstützen»: SP-Nationalrätin Jacqueline Badran.
20minAufs Jahr hochgerechnet bedeute das gegenüber den jetzigen Mieten eine Ertragssteigerung um 1,5 Millionen Franken – und das jedes Jahr. Die gedeckelte Rendite, welche 3,75 Prozent bezogen aufs Eigenkapital betrage, werde nicht eingehalten. «Wir haben also einen illegalen Zustand», so Badran. Die Politik toleriere das jedoch und schaue weg.
Emotionale Rede an Demo
Die wohl emotionalste Rede an der Demo hielt Laura Egloff (40). Die zweifache Mutter sagt danach zu 20 Minuten: «Ich habe bisher einfach nur funktioniert und organisiert. Als ich dann in all diese bekannten Gesichter sah, die ich alle kenne und mit denen ich eine Geschichte verbinde, hat es mich erwischt.»

Laura Egloff (40) wohnt seit 20 Jahren in einem Sugus-Haus.
Céline TrachselSie wohne seit 20 Jahren hier, hat ihre Kinder da geboren und ist verwurzelt. Ihre Schwester mit deren Kindern und ihre Cousine wohnen ein paar Gehminuten entfernt. «Dass jetzt alles vorbei sein soll, ist schwer zu fassen. Und in so kurzer Zeit wegzuziehen und alles zu organisieren ist fast unmöglich.»
Auch Bewohner im Rollstuhl verlieren Wohnung.
Manuel Gisel ist auf den Rollstuhl angewiesen und wohnt seit 25 Jahren im Sugus-Haus.
Céline TrachselHanna Pfister lebt seit 20 Jahren in einem Sugus-Haus
Hanna Pfister (87) ist Bewohnerin der Sugus-Häuser. Sie lebt seit 20 Jahren hier.

Einladung an Liegenschaftsbesitzern
Rednerin Jascha (18) aus den Sugus-Häusern lädt Liegenschaftsbesitzerin Regina Bachmann ein, als Adventskalender jeden Abend bis Weihnachten bei einer anderen Familie zu Abend zu essen.
Sie sagt: «Es sind mehr als nur vier Wände, sondern es ist unser Daheim.»

«Ich will meine Freundinnen nicht verlieren»
Joy (14) mit Ohrenwärmer umgeben von ihren Freundinnen: «Ich hoffe, dass die Demo etwas bringt. Ich will nicht die Schule wechseln und meine Freundinnen verlieren.»

Unterstützung aus dem Kreis 4
Dominik Dudle (28) aus Zürich Kreis 4 kommt zur Unterstützung. Er kennt keine Leute aus der Siedlung, aber will sich solidarisch zeigen.

Linke Parteien organisieren Kundgebung
Die SP und die Grünen der Stadt Zürich und die AL haben für Sonntag zu einer Kundgebung vor den betroffenen Liegenschaften aufgerufen.

Stapi Corine Mauch will mit Eigentümerin reden
Betroffen sind zwischen 200 und 300 Menschen, die kurz vor Weihnachten, die Wohnungskündigung erhalten haben.
Bisher hat die Eigentümerin Regina Bachmann, die bei der Erbteilung Ende November drei von neun der Wohnblocks erhalten hat und jetzt alle Wohnungen leerkündigt, noch keinem auf eine Gesprächsanfrage geantwortet: Weder ihren eigenen Geschwistern noch den Medien noch den Mietern gab sie Antwort.
Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (64, SP) will nun eine Diskussion möglich machen: «Zusammen mit Hochbauvorsteher André Odermatt (64, SP) werde ich die Eigentümerin der drei Liegenschaften um ein Gespräch bitten», sagt Mauch zum «SonntagsBlick».
Erbin steckt hinter Kündigungen
Hinter der Massenkündigung an der Neugasse in Zürich steckt eine Erbin des Zürcher Baulöwen und «Billig-Bauer der Nation» Leopold Bachmann (1933-2021). Regina Bachmann (59) hat vor kurzem drei von neun Blocks im Alleineigentum erhalten und sechs Tage später allen Mietern gekündigt. Ihre Brüder, denen die anderen Wohnblocks in der «Sugus»-Siedlung gehören, wollen ihre Mieter behalten.

Leopold Bachmann (1933-2021) hat die Sugus-Häuser in Zürich erbaut. Ihm war soziale Verantwortung und bezahlbarer Wohnraum immer wichtig. Er hinterliess fünf Kinder, von denen vier noch leben.
Tamedia AGSchocknachricht für 105 Mieteparteien
Am Dienstag erhielten 105 Mietparteien im Zürcher Kreis 5 die Kündigung, sie müssen in drei Monaten raus. Die Liegenschaften sind im Volksmund als Sugus-Häuser bekannt.