Wegen ZuwanderungWohnungskrise spitzt sich zu – «Windisch war erst der Vorgeschmack»
In der Schweiz drohen soziale Spannungen wegen fehlender Mietwohnungen, warnen Immobilienökonomen. Die Wohnungsnot dürfte den Klimawandel ablösen.
Darum gehts
Die CS warnt vor Unruhen wegen Wohnungsmangels.
Hauptgrund sei die hohe Zuwanderung.
Konflikte seien vorprogrammiert.
Die Credit Suisse schlägt Alarm wegen der Wohnungsknappheit. Eine «Wohnmangellage» sei kaum zu vermeiden und es drohten «soziale Spannungen», wie sie in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie schrieb.
Die sozialen Spannungen, so scheint es, sind bereits spürbar: Der Fall Windisch, wo Mieterinnen und Mieter die Wohnungen wegen der Nutzung der Liegenschaft als Asylunterkunft vorzeitig verlassen müssen, schlägt hohe Wellen. Mitte Februar gab es während einer Demo in Zürich Strassenschlachten von vertriebenen Hausbesetzern – und das Problem spitzt sich weiter zu.
Höchste Zuwanderung seit acht Jahren
Hauptgrund für die Wohnungskrise ist laut der CS die höchste Zuwanderung seit acht Jahren, wegen Geflüchteter aus der Ukraine und der Arbeitsmigration, vor allem aus Deutschland. Und die CS erwartet auch in den nächsten Jahren hohe Zuwanderungszahlen. «Windisch war erst der Vorgeschmack, solche Konflikte sind vorprogrammiert», so CS-Immobilienökonom Fabian Waltert zu 20 Minuten.
Je nach politischem Hintergrund werde es Forderungen zu mehr Regulierung auf dem Wohnungsmarkt oder nach einer Beschränkung der Zuwanderung geben, so CS-Experte Waltert. Wichtig ist laut dem Experten aber vor allem, Hindernisse für Bauprojekte zu beseitigen und eine beschleunigte Verdichtung zu ermöglichen.
Denn die Krise hat auch hausgemachte Ursachen: «Es werden zu wenig Wohnungen gebaut», sagte CS-Immo-Experte Fredy Hasenmeile. Bereits seit 2017 geht die Bautätigkeit zurück, letztes Jahr waren es noch 38’000 neue Wohnungen, gleich viele wie 2003, als die Nettozuwanderung noch etwa halb so gross war wie 2022 mit 81’000 Personen. Mehr über die hausgemachten Gründe findest du in diesem Artikel.
Löst Wohnungskrise den Klimawandel ab?
Die Anzahl leerer Wohnungen dürfte laut der CS dieses Jahr von 2,13 auf 1,75 Prozent sinken. Angesichts hoher Baupreise und der Zinswende dürfte die Zahl weiter sinken und gleichzeitig die Mieten mehrheitlich ab 2024 kräftig zulegen (siehe Box).
Referenzzinssatz bleibt noch unverändert
Der historisch tiefe Referenzzinssatz bleibt unverändert bei 1,25 Prozent, wie das Bundesamt für Wohnungswesen in einer Mitteilung schreibt. Weil die Nationalbank zuletzt aber den Leitzins kräftig erhöht hat, erwarten Experten eine Erhöhung des Referenzzinssatzes zum nächsten Stichtag im Juni. Etwa die Hälfte der Mieterinnen und Mieter in der Schweiz wäre von einer Erhöhung betroffen, wie das Vergleichsportal Moneyland schreibt. Bei einem allfälligen Zinsschritt um 0,25 Prozentpunkte kann der Vermieter laut Moneyland drei Prozent mehr Miete verlangen. Bei 0,5 Prozentpunkten sind es dann sechs Prozent.
Die Gesellschaft stehe vor einer unangenehmen Situation, sagt Christian Fichter, Sozial- und Wirtschaftspsychologe und Forschungsleiter der Kalaidos Fachhochschule, zu 20 Minuten. «Die Betroffenen artikulieren sich, manche wählen Mittel des öffentlichen Protests, was auch mal eskaliert, das ist aber eine Minderheit», so Fichter.
Manchmal brauche es einen Wendepunkt mit einer kritischen Masse von Leuten, die sich wehren. Fichter glaubt, dass dieser Punkt noch nicht erreicht ist. Momentan sei der Klimawandel noch zuoberst in der Hierarchie der Leute. «Das kann sich aber sofort ändern, wenn viele Leute erfolglos Wohnungen suchen, dann tritt der Klimawandel zurück und die Leute gehen auf die Strasse und wählen das nächste Mal die Partei, in deren Parteiprogramm Linderung der Wohnungsnot steht», so Fichter.
Fichter glaubt aber trotz sozialer Unruhen nicht, dass es zu gesellschaftlichen Verwerfungen kommt. «Die Politik ist gefordert und wird sich darum kümmern, das hat sich schon oft bewährt und ist das Grundmuster der sozialen Problemlösung in einem zivilisierten Land», so Fichter. Es sei möglich, dass es dann mehr Regulierung, mehr subventionierten Wohnraum oder Mietermässigungen gebe.
«Es läuft aufs Einpferchen der Bevölkerung hinaus»

Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger von der Uni Freiburg.
Tamedia AGWas bedeutet die Wohnungskrise für die Schweiz?
Reiner Eichenberger: «Sie ist die logische Folge von Personenfreizügigkeit und extremem Bevölkerungswachstum. Solange wir keine neuen Bauflächen wollen, läuft es aufs Einpferchen der Bürger hinaus. Die Wohnkosten werden weiter steigen. Zudem ist Verdichten teuer, senkt die Lebensqualität und ist spätestens in 15 Jahren ausgereizt.»
Wie lässt sich das Problem lösen?
«Wir müssen entweder massiv neu Bauland einzonen und das Bauen erleichtern – oder die Zuwanderung stark senken. Sie ist ja auch ein Haupttreiber von Energieknappheit, Lehrermangel, Schulraumknappheit, Verkehrsstaus, Nicht-Erreichen der CO2-Reduktionsziele, etc. Aber manche Politiker lieben sie – weil sie ihre Steuer- und Gebühreneinnahmen sowie Budgets wachsen lässt.
Was schlagen Sie vor?
«Wir haben die Marktmechanismen ausgehebelt. Wir müssen damit aufhören, den Wohnraum zu verschleudern. Wenn die Mieter den tatsächlichen Marktwert einer Stadtwohnung zahlen müssten, würden sie sich einschränken und in kleinere und einfachere Wohnungen oder von der Stadt aufs Land ziehen, wo es günstiger ist. Man muss diejenigen in die Wohnungen bringen, die bereit sind, den wahren Wert zu bezahlen.»
Wie soll das funktionieren?
«Oft ziehen alte Mieter nicht aus eigentlich zu grossen Wohnungen aus, weil sie überall mehr Miete bezahlen müssten als mit dem alten Mietvertrag. Damit sie es trotzdem tun, sollte es den Vermietern erlaubt sein, danach die Miete an den Markt anzupassen und einen Teil des Mehrertrags den alten Mietern als Wegzugsentschädigung auszubezahlen. Auch staatliche Wohnungen sind ein Problem. Da bekommen einige wenige auf Kosten der Allgemeinheit grosse Geschenke. Diese sollten sie zumindest als Einkommen versteuern müssen.»
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