Wer war Oppenheimer?«Erinnern wir uns, was er für uns getan hat und was wir ihm angetan haben»
Ein Film über Robert Oppenheimer? Robert wer? Das dürften sich wohl einige Menschen gefragt haben, als sie die Ankündigungen zum Film gesehen haben. Dabei war er es, der das Atomzeitalter beginnen liess.
Darum gehts
Neben «Barbie» ist «Oppenheimer» derzeit das Gesprächsthema bei Filmfans.
Im Zentrum des Nolan-Films steht J. Robert Oppenheimer.
Er gilt als «Vater der Atombombe», der nach den ersten Atomexplosionen zu ihrem Gegner wurde.
Das ist einer der Gründe, warum er 1954 zu einer Sicherheitsanhörung geladen wurde, nach der er von geheimen Regierungsprojekten ausgeschlossen wurde.
Erst rund 70 Jahre später wurde er rehabilitiert, doch das sollte er nicht mehr erleben.
«Ob es Ihnen gefällt oder nicht: J. Robert Oppenheimer ist die wichtigste Person, die je gelebt hat.» Das sagt Regisseur Christopher Nolan über die Titelfigur seines neuesten Films. Oppenheimer habe im absoluten Zentrum des grössten Wandels der Geschichte gestanden und «die Welt, in der wir leben, im Guten wie im Schlechten geschaffen», zitiert ihn time.com. Sein Wirken führte zum Beginn des Atomzeitalters. So wurde er zum «Vater der Atombombe».
«Oppenheimer»: Der Trailer zum Film von Christopher Nolan.
Dass Oppenheimer einmal mit einer so grossen Aufgabe wie der Entwicklung der Atombombe bedacht werden würde, war nicht vorherzusehen. Sein Weg zum «Vater der Atombombe» war alles andere als geradlinig: Angeblich hätte er fast sogar zwei Menschen umgebracht. Wer war dieser Oppenheimer?
Schüchtern, wohlerzogen und brillant
Oppenheimer wurde 1904 als Kind deutsch-jüdischer Einwanderer in New York City geboren, die durch den Textilhandel reich geworden waren. Er und sein jüngerer Bruder Frank wuchsen luxuriös auf: Die Familie lebte an der Upper West Side, Dienstmädchen kümmerten sich um ihr Wohl. Auch einen Chauffeur gab es. Zu Kopf gestiegen soll ihm all das nicht sein, so bbc.com. Eine Schulfreundin beschrieb ihn als jemand, der «sehr rotwangig, sehr schüchtern», aber auch «sehr brillant» war.
Wissbegierig, einsam und verspottet
Oppenheimers Brillanz und sein Interesse für «erwachsene» Themen wie Mineralogie und Philosophie isolierten ihn von Gleichaltrigen. Statt sich mit Sport oder «Unruhen und Turbulenzen seiner Altersgruppe» zu beschäftigen, wie sein Cousin einmal erklärte, beschäftigte sich Robert «mit dem, was er tat oder dachte.» Das liess ihn einsam und verspottet werden, aber auch bewundert – etwa von seinen Eltern, die fest an ihr Genie glaubten.
Einfach dürften auch sie es nicht mit ihm gehabt haben: «Ich habe ein unangenehmes Ego entwickelt, was sicher sowohl Kinder als auch Erwachsene beleidigt haben muss, die das Pech hatten, mit mir in Kontakt zu kommen», soll Oppenheimer später gesagt haben. Auch er selbst haderte mit sich: «Es macht keinen Spass, die Seiten eines Buches umzublättern und zu sagen: ‹Ja, ja, natürlich, das weiss ich›», zitiert ihn die «BBC».
Studium, Depressionen und zwei Mordversuche
1922 ging Oppenheimer nach Harvard, um Chemie zu studieren. Während dieser Zeit soll er erstmals von seinem Tod gesprochen haben. Die negativen Gedanken hielten auch nach seinem Wechsel an die University of Cambridge an: «Mir geht es ziemlich schlecht», schrieb er 1925.
Im selben Jahr hat er nach eigenen Angaben versucht, einen Lehrer oder Tutor, da sind sie Quellen nicht einig, mit einem mit Laborchemikalien versehenen Apfel zu vergiften. Gegessen wurde der Apfel nicht, aber Oppenheimers Platz in Cambridge war bedroht. Er durfte nur bleiben, weil er einen Psychiater aufsuchte. Der diagnostizierte eine Psychose, merkte aber an, dass eine Behandlung nichts bringen würde. 1926 soll Oppenheimer noch einmal auffällig geworden sein: Als ihm ein Freund erzählte, dass er seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht hatte, soll er versucht haben, diesen zu erwürgen.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Suizidgedanken? Oder hast du jemanden durch Suizid verloren?
Hier findest du Hilfe:
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Pro Mente Sana, Tel. 0848 800 858
Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen
Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29
Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch
Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen
Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
Verein Familientrauerbegleitung.ch
Wechsel zur Physik als wichtiger «Wendepunkt»
Es folgte eine kurze Auszeit, aus der Oppenheimer «viel freundlicher und toleranter» zurückkehrte. Noch besser ging es ihm, nachdem er von Chemie auf Physik umgestiegen war. Ein «Wendepunkt», wie er später schrieb. Schon im darauffolgenden Jahr machte er an der Universität Göttingen, dem damals weltweit führenden Zentrum der Quantenphysik, seinen Doktor. Er ging nach Zürich und in die Niederlande, dann nach Harvard und Berkeley. Er verschrieb sich ganz der Physik. Er verfasste mehrere Bücher und lehrte. Privat interessierten ihn hinduistische Schriften und er lernte Sanskrit – so gut, dass er hinduistische Schriften wie die Bhagavad Gita im Original las. Daraus stammte auch sein berühmtestes Zitat, in dem er sich nach der erfolgreichen Zündung der ersten Atombombe als «Zerstörer der Welten» bezeichnet.
Zwei Frauen und mehrere Heiratsanträge
Ebenfalls in den 1930er-Jahren verliebte sich Oppenheimer in Jean F. Tatlock, eine Psychiaterin und Ärztin, die als ebenbürtig beschrieben wurde. So sah es wohl auch der Physiker, der ihr gleich mehrfach einen Heiratsantrag gemacht haben soll. Doch die Angebetete lehnte jeweils ab. Tatlock war Mitglied der Kommunistischen Partei. Ihr wird zugeschrieben, dass Oppenheimer in dieser Zeit mit den Kommunisten sympathisierte, was ihm später noch Probleme bereiten würde. Auch als der Physiker Anfang der 1940er-Jahre die Biologin und Mitarbeiterin am «Manhattan Project» Katherine «Kitty» Harrison heiratete, soll es weiterhin Treffen zwischen Oppenheimer und Tatlock gegeben haben.
Die Welt verändert sich und mit ihr Oppenheimers Aufgaben
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wuchs in den USA die Angst vor «Hitlers Bombe». Schon 1939 hatte unter anderem Albert Einstein den US-Präsidenten Franklin Roosevelt gewarnt, dass die im Jahr zuvor entdeckte Kernspaltung zum Bau einer neuartigen Bombe mit enormer Zerstörungskraft genutzt werden könnte. 1942 lancierte die US-Regierung das geheime «Manhattan Project», das zum Ziel hatte, die erste Atombombe der Welt zu entwickeln.
Trotz Sicherheitsbedenken aufgrund Oppenheimers Nähe zur kommunistischen Partei in den Jahren zuvor, betraute ihn der militärische Leiter des Projekts, General Leslie Groves, mit der wissenschaftlichen Leitung. «Meinem Gefühl nach war er sehr gut qualifiziert, um die theoretischen Aspekte der Arbeit zu bewältigen», so Groves. Zwar habe er nicht gewusst, wie es um die praktischen Aspekte stehe, «aber ich glaubte, er könne die Aufgabe meistern.» Er sei absolut essentiell für dieses Projekt.
Groves behielt Recht: Am 16. Juli 1945 um 5.29 Uhr und 45 Sekunden wurde in der Wüste von New Mexico im Rahmen des Trinity Tests die erste Atombombe der Welt gezündet und das Atomzeitalter war eingeläutet. «Wir wussten, dass die Welt ab jetzt nicht mehr dieselbe sein würde», erinnert sich Oppenheimer 1965: «Einige von uns lachten, einige weinten, die meisten waren still.»
Eine gewaltige Explosion erschütterte am 16. Juli 1945 um 5.29 Uhr und 45 Sekunden die Wüste von New Mexico: Die erste Atombombe der Welt war gezündet worden.
20minDer «Vater der Atombombe» wendet sich von seiner Schöpfung ab
Dem Test folgte kurz darauf der erste wirkliche Einsatz von Atombomben: zunächst am 6. August 1945 auf Hiroshima. Da war Oppenheimer noch euphorisch, hoffte er doch, der erfolgreiche Einsatz würde den Krieg mit Japan beenden. Doch Japan weigerte sich zu kapitulieren, was zum Abwurf einer zweiten Atombombe auf Nagasaki am 9. August 1945 führte.
Zwar kam es daraufhin zur Kapitulation, aber Oppenheimers Haltung änderte sich danach. Der «Vater der Atombombe», wie ihn die Medien nun nannten, verliess im Oktober 1945 das Los Alamos Lab, wo das «Manhattan Project» angesiedelt war. Er ging an die Universität und wechselte 1947 als Direktor ans Institute of Advanced Study in Princeton, einen Thinktank für theoretische Physik, wo auch Einstein war. Gleichzeitig wurde er Vorsitzender des General Advisory Committee (GAC) – einem der neuen Atomenergiebehörde der USA unterstellten Beratergremium. Oppenheimer riet vom Einsatz weiterer Atomwaffen ab. Zudem sprach er sich dafür aus, sie für illegal zu erklären, ähnlich wie beim Giftgas nach dem Ersten Weltkrieg. Auch öffentlich. Erhört wurde er jedoch nicht.
Nachdem im August 1949 auch die Sowjetunion ihren ersten Atombombentest durchführte, hatte das nukleare Wettrüsten begonnen. An Oppenheimers Stelle forschten nun andere in den USA an einer noch mächtigeren Waffe: einer Wasserstoffbombe. 1951 wurde ein erstes Konzept für eine solche thermonukleare Bombe vorgestellt. Am 1. November 1952 wurde sie erstmals getestet:
Ein Sicherheitsrisiko? Oppenheimer gerät unter Verdacht
Anfang der 1950er-Jahre galten die Sowjetunion und ihre Sympathisanten als Staatsfeind Nummer eins. Während der McCarthy-Ära wurde im gesamten Land Jagd auf Kommunisten und ihre Unterstützer gemacht. Tausende Menschen wurden verhört. Auch Oppenheimer – wegen seines «Umgangs mit bekannten Kommunisten». Auch dass er gegen die Wasserstoffbombe war, warf man ihm vor. Das sei «antiamerikanisch».
«Wir haben die Atombombe, was also wollt ihr noch – Meerjungfrauen? Das war eine enorme Leistung.»
Vier Wochen lang wurden er und 40 Zeugen im Jahr 1954 befragt. 28 Zeugen verteidigten ihn vehement, darunter auch der Nobelpreisträger und «Manhattan-Project»-Mitarbeiter Isidore Rabi, der selbst dem Beirat der Atomenergiekommission angehörte: «Wir haben die Atombombe, was also wollt ihr noch – Meerjungfrauen? Das war eine enorme Leistung.» Auch General Groves sprach positiv über die vergangene Zusammenarbeit, gab aber an, ihm unter den aktuellen Sicherheits-Anforderungen keine Freigabe mehr zu erteilen.
Daraufhin wurde Oppenheimer von geheimen Regierungsprojekten ausgeschlossen. Man halte ihn zwar für einen loyalen Bürger, hiess es. Allerdings attestierte man ihm auch «fundamentale Charakterschwächen, darunter eine Missachtung für Sicherheitsregeln und eine leichte Beeinflussbarkeit», so Spektrum.de.
Zurück an die Uni, Krebs und späte Rehabilitation
Oppenheimer soll diese Entscheidung schwer getroffen haben. Er sei danach ein anderer Mensch gewesen, heisst es. «Viel von seinem früheren Geist und seiner Lebendigkeit hatte ihn verlassen», zitiert Spektrum.de den Physik-Nobelpreisträger Hans Bethe. Der Geschasste zog sich nach Princeton zurück, wo er erneut forschte und lehrte, sich aber auch mit den moralischen und ethischen Auswirkungen wissenschaftlicher Erfindungen beschäftigte. Am 18. Februar 1967 starb Oppenheimer in Princeton an Kehlkopfkrebs.
«Lassen Sie uns nicht nur daran erinnern, was dieses spezielle Genie für uns getan hat, sondern auch, was wir ihm angetan haben», mahnte der US-Senator J. William Fulbright anlässlich seines Todes. Worauf er damit anspielte, wurde im Dezember 2022 deutlich. Damals gab das US-Energieministerium zu, dass Oppenheimer Unrecht getan wurde: «Im Laufe der Zeit sind immer mehr Beweise für die Einseitigkeit und Unfairness des Verfahrens ans Licht gekommen, dem Dr. Oppenheimer unterworfen war», so die US-Energieministerin Jennifer Granholm. Die Beweise für seine Loyalität und Liebe zum Land seien dagegen noch mehr bestätigt worden.
Hast du vor, dir den Film «Oppenheimer» anzusehen?
Wissen-Push
Abonniere in der 20-Minuten-App die Benachrichtigungen des Wissen-Kanals. Du wirst über bahnbrechende Erkenntnisse und Entdeckungen aus der Forschung, Erklärungen zu aktuellen Ereignissen und kuriose Nachrichten aus der weiten Welt der Wissenschaft informiert. Auch erhältst du Antworten auf Alltagsfragen und Tipps für ein besseres Leben.
So gehts: Installiere die neueste Version der 20-Minuten-App. Tippe oben rechts aufs Einstellungs-Menü (drei Striche mit Kreis), dann «Einstellungen» und schliesslich auf «Push-Mitteilungen». Wähle die gewünschten Themen aus und klicke dann «Weiter». Wähle nun, falls gewünscht, eine Region aus und klicke «Weiter». Beim Punkt «Themen» kannst du jetzt «Wissen» auswählen. «Bestätigen» klicken und du bist dabei!
Keine News mehr verpassen
Mit dem täglichen Update bleibst du über deine Lieblingsthemen informiert und verpasst keine News über das aktuelle Weltgeschehen mehr.
Erhalte das Wichtigste kurz und knapp täglich direkt in dein Postfach.