Häusliche Gewalt: Männer leiden oft im Stillen

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Misshandlung20 Jahre von Frau geschlagen: «Männer empfinden oft tiefe Scham»

Eine Netflix-Dokumentation erzählt die Geschichte eines Briten, der 20 Jahre lang von seiner Frau misshandelt wurde. In der Schweiz nehmen Fälle häuslicher Gewalt gegen Männer zu – ein Tabuthema.

In der britischen Netflix-Serie «My Wife, My Abuser» zeigen versteckte Kameraaufnahmen, wie ein Mann 20 Jahre lang von seiner Frau misshandelt wurde.
Richard Spencer erzählt von seinen traumatischen Erlebnissen und zeigt seine unzähligen Verletzungen, welche ihm seine Frau Sheree zugefügt hat. (Symbolbild)
Manfred Schneeberger leitet das Männerhaus «Zwüschehalt» in Luzern und setzt sich intensiv mit dem Thema häusliche Gewalt gegen Männer auseinander. (Symbolbild)
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In der britischen Netflix-Serie «My Wife, My Abuser» zeigen versteckte Kameraaufnahmen, wie ein Mann 20 Jahre lang von seiner Frau misshandelt wurde.

Channel 5/Screenshot

Darum gehts

  • Eine Netflix-Doku zeigt das Schicksal eines Mannes, der 20 Jahre lang von seiner Frau misshandelt wurde.

  • In der Schweiz nimmt häusliche Gewalt gegen Männer zu, bleibt jedoch stark tabuisiert.

  • Betroffene Männer suchen selten Hilfe, oft aus Scham und Angst, als schwach wahrgenommen zu werden.

  • Zwei Experten erläutern die Hintergründe.

In der britischen Netflix-Serie «My Wife, My Abuser» zeigen versteckte Kameraaufnahmen, wie ein Mann 20 Jahre lang von seiner Frau misshandelt wurde. Richard Spencer erzählt von seinen traumatischen Erlebnissen und zeigt seine unzähligen Verletzungen, welche ihm seine Frau Sheree zugefügt hat.

Häusliche Gewalt gegenüber Männern nimmt auch in der Schweiz zu – das zeigen Zahlen des Bundes. Im Jahr 2021 wurden 3329 männliche Geschädigte polizeilich registriert – im Jahr 2022 waren es 3393 männliche Betroffene. Trotz dieses Anstiegs sind Frauen nach wie vor häufiger betroffen: So wurden 2022 7995 weibliche Betroffene registriert.

«Männer gestehen sich lange nicht ein, Opfer zu sein»

Manfred Schneeberger leitet das Männerhaus «Zwüschehalt» in Luzern und setzt sich intensiv mit dem Thema häusliche Gewalt gegen Männer auseinander. Ein Thema, das nach wie vor stark tabuisiert ist, wie er sagt. Und: Während Frauen bei Gewalt in der Beziehung eher auf Verständnis stiessen, werde bei Männern oft erwartet, dass sie stark seien und sich wehren müssten. «Dies führt dazu, dass Männer selten über solche Erlebnisse sprechen oder sich Hilfe suchen – es fehlt oft der gesellschaftliche Raum, in dem Männer offen über häusliche Gewalt sprechen können, ohne als schwach zu gelten. Oft leiden Männer lange im Stillen.»

Manfred Schneeberger ist Leiter des «Zwüschehalt» in Luzern.

Manfred Schneeberger ist Leiter des «Zwüschehalt» in Luzern.

privat

Häufig würden Männer auch nicht sofort erkennen, dass sie Opfer häuslicher Gewalt seien – vor allem, wenn es sich um psychische Gewalt handle. «Viele Männer erleben Demütigungen und psychischen Druck durch ihre Partnerinnen, der sich schleichend intensiviert und sie innerlich zerstört, ohne dass physische Gewalt im Spiel ist.» Oft hätten die Frauen selber mit psychischen Problemen zu kämpfen und litten beispielsweise an Borderline oder zeigten narzisstische Verhaltensweisen. Emotionale Abhängigkeit und die Hoffnung auf Besserung seien oft Hindernisse, die Männer davon abhielten, sich Hilfe zu suchen – vor allem, wenn Kinder involviert seien.

Weibliche Bezugspersonen bieten Halt für betroffenen Männer

Wenn Männer das Männerhaus beträten, seien sie oft erleichtert, dass endlich jemand zuhöre. Das Team von Schneeberger versucht, diesen Männern einen sicheren Raum zu bieten, in dem sie zur Ruhe kommen und wieder Stabilität finden können. «Männer aus jeder Gesellschaftsklasse sind bei uns: Ärzte, Bauarbeiter oder auch Geschäftsführer.» Oft meldeten sich zudem weibliche Bezugspersonen der Opfer zuerst bei der Fachstelle: «Es scheint, als fiele es Männern mit einer Freundin oder der Schwester einfacher, sich ehrlich zu den Geschehnissen zu Hause zu äussern.»

Männer leiden unter verletztem Selbstbild

Männerpsychologe Markus Theunert spricht über die besonderen Herausforderungen, denen männliche Opfer von Gewalt begegnen: «Sie müssen sich nicht nur mit der erlebten Gewalt auseinandersetzen, sondern auch mit der Angst, deswegen als ‹unmännlich› abgewertet zu werden», sagt Theunert. Das hindere viele Männer daran, Unterstützung zu suchen.

«Die Vorstellung, sich nicht gewehrt zu haben oder überhaupt in eine Opferrolle geraten zu sein, verletzt das männliche Selbstbild und belastet viele Männer zusätzlich», sagt Männerpsychologe Markus Theunert.

«Die Vorstellung, sich nicht gewehrt zu haben oder überhaupt in eine Opferrolle geraten zu sein, verletzt das männliche Selbstbild und belastet viele Männer zusätzlich», sagt Männerpsychologe Markus Theunert.

ZVG / Markus Theunert

«Männliche Opfer leiden vielleicht weniger an der Erfahrung körperlicher Unterlegenheit, aber umso mehr an tiefen Ohnmachts- und Schamgefühlen. Die Vorstellung, sich nicht gewehrt zu haben oder überhaupt in eine Opferrolle geraten zu sein, verletzt das männliche Selbstbild und belastet viele Männer zusätzlich», so Theunert. Laut dem Männerpsychologen braucht es ein gesellschaftliches Umdenken: «Männer können ebenso Opfer von Gewalt sein wie Frauen, und Frauen sind nicht von Natur aus friedlicher. Gewalt ist ein komplexes Phänomen, das von vielen Faktoren beeinflusst wird.» Männern Verletzlichkeit zuzugestehen, sei dabei ein wichtiger Beitrag.

«Manche Männer stellen sich bewusst als ‹Zielscheibe› zur Verfügung.»

Jessica Wolf, Beraterin bei der Opferberatung

Laut Jessica Wolf, Beraterin bei der Opferberatung, gibt es verschiedene Gründe, weshalb sich viele Männer nicht wehren, wenn sie von ihren Partnerinnen Gewalt erfahren. «Es fällt Männern vielfach schwer, sich als Opfer zu erkennen. Frauen sind in der Regel körperlich unterlegen und daher wird die Gefahr, die von ihnen ausgehen kann, eher unterschätzt.» Die Hemmschwelle, sich gegen die Partnerin zur Wehr zu setzen, sei sehr hoch. «Sie haben Angst, dass sie dann sofort als Täter gesehen werden und man ihnen nicht glaubt, dass die Partnerin die Aggressorin ist.» Seien Kinder involviert, komme die Angst dazu, dass man ihnen im Falle einer Trennung den Kontakt zu den Kindern verweigern oder zumindest erschweren könnte. «Manche Männer stellen sich bewusst als ‹Zielscheibe› zur Verfügung, weil sie befürchten, dass die Partnerin ihre Aggressionen ansonsten gegen die Kinder richten könnte», so Wolf.

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche

Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer

LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133

Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Beratungsstellen für gewaltausübende Personen

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