Viele Freier streifen heimlich das Kondom ab

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Neuer BerichtViele Freier streifen heimlich das Kondom ab

Gewalt, Diskriminierung und das Risiko, dass Freier die Kontrolle an sich reissen: Eine neue Studie zeigt die Realität für Sexarbeiterinnen in der Schweiz.

Eine neue Befragung der Schweizer Organisation «ProCoRe» gibt Einblicke in die gefährliche Realität von Sexarbeiterinnen in der Schweiz. (Symbolbild)
17 Frauen berichten von sogenanntem «Stealthing» – dem heimlichen Abstreifen des Kondoms durch den Kunden, eine Form sexualisierter Gewalt, die seit Juli 2024 im Schweizer Sexualstrafrecht als Straftat gilt. (Symbolbild)
Fast ein Drittel der Befragten hat zudem weitere Formen sexualisierter Gewalt erfahren: Darunter Drohungen, unerlaubtes Festhalten oder das Aufzwingen unerwünschter Praktiken während des Geschlechtsverkehrs. (Symbolbild)
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Eine neue Befragung der Schweizer Organisation «ProCoRe» gibt Einblicke in die gefährliche Realität von Sexarbeiterinnen in der Schweiz. (Symbolbild)

20min/Celia Nogler

Darum gehts

  • Sexarbeiterinnen in der Schweiz sind oft Opfer von Gewalt und Diskriminierung, wie eine neue Studie zeigt.

  • 17 Frauen berichten von «Stealthing», dem heimlichen Abstreifen des Kondoms durch Kunden.

  • Ein Drittel der Befragten erlebte weitere Formen sexualisierter Gewalt, wie Drohungen und Festhalten.

  • Trotz legaler Sexarbeit meiden viele die Polizei aus Angst vor Diskriminierung.

  • «ProCoRe» fordert mehr Unterstützung und Sensibilisierung für die Rechte der Sexarbeiterinnen.

Eine neue Befragung der Schweizer Organisation «ProCoRe» gibt Einblicke in die gefährliche Realität von Sexarbeiterinnen in der Schweiz. Die meisten der 24 befragten Frauen und Transfrauen haben bei der Arbeit Gewalterfahrungen erlebt. Besonders alarmierend: 17 Frauen berichten von sogenanntem «Stealthing» – dem heimlichen Abstreifen des Kondoms durch den Kunden, eine Form sexualisierter Gewalt, die seit Juli 2024 im Schweizer Sexualstrafrecht als Straftat gilt.

«Das ist mir in mehreren Jahren ein- oder zweimal passiert. Ich habe es bemerkt und wende immer einen Sicherheitsgriff an, um zu prüfen, ob das Kondom noch an seinem Platz ist.»

Studienteilnehmerin und Sexarbeiterin

Fast ein Drittel der Befragten hat zudem weitere Formen sexualisierter Gewalt erfahren: darunter Drohungen, unerlaubtes Festhalten oder das Aufzwingen unerwünschter Praktiken während des Geschlechtsverkehrs.

«Einmal wurden mir K.O.-Tropfen in mein Getränk gemischt. Ich wurde bewusstlos, wachte nackt in einem Zimmer auf und konnte mich an nichts erinnern.»

Studienteilnehmerin und Sexarbeiterin

Physische und sexualisierte Gewalt werden von Freiern oftmals angewendet, um die Kontrolle in einer für sie unbefriedigenden oder frustrierenden Situation zurückzugewinnen, heisst es in der Studie. Die Hälfte der Befragten berichtete von Diskriminierung und Beleidigungen im Alltag, die meist von Freiern, aber auch von Passanten oder Kollegen ausgehen. Einige berichteten auch von struktureller Gewalt durch Betreiber von Salons oder Clubbesitzern, die Arbeitszeiten und Kundschaft festlegen oder Einnahmen zurückhalten.

«Sie denken, dass ich keine Rechte habe, weil ich Ausländerin bin, und dass sie mit mir machen können, was sie wollen.»

Studienteilnehmerin und Sexarbeiterin

Zur Studie

Die Studie untersuchte die Gewalterfahrungen von 24 Sexarbeiterinnen im Alter zwischen 28 bis 63 Jahren in der Schweiz. Die Mehrheit hat einen Migrationshintergrund und arbeiteten grösstenteils legal. Es handelt sich hierbei um eine explorative Studie. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ für die Gesamtpopulation der Sexarbeitenden in der Schweiz, bestätigten jedoch den bisherigen (inter)nationalen Forschungsstand.

Legalisierung der Sexarbeit führt zu mehr Sicherheit

Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt: In Ländern mit einem legalen Rahmen für die Sexarbeit ist das Gewaltniveau niedriger. Doch obwohl Sexarbeit in der Schweiz legal ist, meiden viele Sexarbeiterinnen die Polizei aus Angst vor Diskriminierung und ausländerrechtlichen Konsequenzen. Rund 38 Prozent melden Gewalttaten. Doch selbst bei Anzeigen führten diese selten zu Verfahren. Polizeikontrollen würden oft als bedrohlich wahrgenommen, sodass Sexarbeiterinnen lieber fernbleiben, um unangenehme Erfahrungen zu vermeiden.

In Ländern mit einem legalen Rahmen für die Sexarbeit ist das Gewaltniveau niedriger.

In Ländern mit einem legalen Rahmen für die Sexarbeit ist das Gewaltniveau niedriger.

Während regelmässige Polizeikontrollen prinzipiell für mehr Sicherheit sorgen könnten, fühlten sich viele Frauen dadurch jedoch oft schikaniert oder sogar kriminalisiert. In der Umfrage gaben einige an, dass sie der Polizei bewusst aus dem Weg gehen, um unangenehme oder demütigende Erfahrungen zu vermeiden.

«Einmal wurde ich kontrolliert und fühlte mich behandelt, als ob ich etwas Illegales tue, obwohl ich alle Papiere hatte.»

Studienteilnehmerin und Sexarbeiterin

Die Sexarbeiterinnen würden deshalb versuchen, sich selbst zu schützen: Die meisten der Befragten lehnen riskante Kunden ab und fast 80 Prozent vermeiden, mit alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Klienten zu arbeiten.

Stigmatisierung und psychische Belastung

Die Gewalt hinterlässt bei den Betroffenen oft Spuren, sowohl physisch als auch psychisch. Depressionen, Angststörungen und Trauma-Symptome sind laut der Studie häufige Folgen.

«Auf meine Moral hat es manchmal einen schwierigen Einfluss. Ich glaube, ich kann zeitweise depressiv sein.»

Studienteilnehmerin und Sexarbeiterin

«ProCoRe» fordert unter anderem eine stärkere Sensibilisierung der Polizei und der Justiz sowie den Ausbau von Beratungsstellen und präventiven Massnahmen gegen Gewalt und Stigmatisierung.

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche

Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer

LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133

Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Beratungsstellen für gewaltausübende Personen

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