Ungleiche Lust auf Sex: So sprichst du es an

Am Anfang eurer Beziehung hat schon eine kleine Geste zwischen euch gereicht, um dich zu erregen – mittlerweile weisst du gar nicht mehr, wann du das letzte Mal Sex initiiert hast. Kommt dir das bekannt vor?

Es ist normal, dass man unterschiedlich viel Lust auf Sex verspürt. Wie sollte man jedoch damit umgehen, ohne die Beziehung zu gefährden? Das erklärt Martin Bachmann von Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich.

Herr Bachmann, ist es normal, dass die Häufigkeit von Sex mit der Zeit in einer Beziehung abnimmt?

Ja, in den ersten Jahren einer Beziehung haben die meisten Paare häufiger Sex. Mit der Zeit, besonders in Phasen wie der Kindererziehung, kann die Häufigkeit abnehmen. Es gibt auch Paare, die mit der Zeit besseren Sex haben, weil sie sich besser kennen und entspannter sind. Entscheidend ist, dass Paare den Sex nicht völlig verlernen, sondern regelmässig pflegen, um die Unsicherheit oder den Verlust der Intimität zu vermeiden.

Woran kann es liegen, dass unterschiedliche sexuelle Lust verspürt wird?

Menschen sind unterschiedlich, auch in ihrer Sexualität. Es wäre unrealistisch anzunehmen, dass der Partner oder die Partnerin immer die gleiche Libido haben. Unsere sexuellen Bedürfnisse und Wünsche sind geprägt von individuellen Erfahrungen und Sozialisationen. Sexualität ist auch eine erlernte Kompetenz – was wir erregend finden und wie wir Sex geniessen, ist sehr unterschiedlich. Zu Beginn einer Beziehung bemerken viele Paare diese Unterschiede weniger, da das Hormon Oxytocin verstärkt wirkt und man euphorischer auf die bessere Hälfte reagiert. Mit der Zeit kann diese Intensität abnehmen, was ganz normal ist.

Wie lässt es sich mit einer unterschiedlichen Libido innerhalb einer Beziehung umgehen?

Es ist wichtig, darüber zu sprechen und geduldig zu bleiben. Man muss akzeptieren, dass sexuelle Wünsche nicht immer zeitgleich auftreten. Paare sollten sich bemühen, den anderen zu verführen, Komplimente zu machen und gemeinsame Zeit bewusst zu gestalten. Man sollte auch aushalten, wenn der andere gerade keine Lust hat, und dennoch im Gespräch bleiben, um gemeinsame Lösungen zu finden. Und Solo-Sex kann auch lustvoller Sex sein.

Was sind häufige Missverständnisse in Bezug auf sexuelle Bedürfnisse?

Ein häufiges Missverständnis ist, dass man glaubt, man hätte sich entliebt, wenn nicht gleichzeitig viel Lust verspürt wird. Viele Menschen reagieren auch beleidigt oder frustriert, wenn der andere keinen Sex möchte. Männer neigen dazu, Intimität über Sexualität herzustellen, während Frauen oft mehr auf emotionale Verbindung achten. Das kann zu Spannungen führen, die durch Kommunikation und Verständnis abgebaut werden können.

Wie kann man offen über sexuelle Vorlieben sprechen, ohne sein Gegenüber zu verletzen?

Wichtig ist, entspannt zu bleiben, keine Vorwürfe zu machen und über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen. Statt Kritik sollte man sagen, was einem gefällt oder worauf man Lust hat. Es kann auch hilfreich sein, das Gespräch vorab anzukündigen, sodass beide vorbereitet sind. Tiefes Atmen und Aushalten von möglichen unangenehmen Gefühlen gehören ebenfalls dazu.

Wann sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?

Wenn die unterschiedliche Libido oder sexuelle Probleme zu dauerhaften Spannungen führen und das Paar es alleine nicht lösen kann. Auch körperliche Veränderungen, wie Erektionsstörungen oder Schmerzen beim Sex, können Anlass sein, Hilfe zu suchen.