GangsterrapSo stürmen kriminelle Vorstadt-Rapper die schwedischen Charts
Die Streaminglisten Schwedens sind überrannt von Rappern und Hip-Hop-Künstlern. Hinter den Kulissen weisen die Musiker jedoch oft dicke Strafakten und Gangmitgliedschaften auf.
20 Minuten war vor Ort in Schweden und hat Gang-Aussteiger Ali* getroffen.
20min/Noah Knüsel und Christina PirskanenDarum gehts
In Schweden hat der Gangsterrap die Charts gestürmt.
Viele der Rapper sind jedoch selbst in Konflikte und Gangs verstrickt.
«Die Lieder sind wie ein Tagebuch der Strasse», sagt Gang-Aussteiger Ali*.
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Was die Schweiz besser macht als Schweden – und wo es brenzlig wird
Tote Freunde, Rache-Versprechen, Pistolen, Schutzwesten und teurer Schmuck: Darum drehen sich die Texte und Musikvideos der schwedischen Vororts-Rapper. Was als Hobby unter Freunden anfing, mit Snapchatvideos von Freestyle-Raps im Auto, hat schnell die schwedische Musikszene erobert.
Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer feiern die Lieder wegen ihrer hippen Beats und deftigen Bässen – dabei enthalten sie oft verborgene Botschaften an rivalisierende Gangs.
Tagebuch der Strasse
«Anfangs gab es den normalen Vororts-Rap, wo man über seine Nachbarschaft rappte», erzählt Gang-Aussteiger Ali*, als 20 Minuten ihn in Schweden trifft. «Sobald die Rapper bekannter wurden, nahmen Gangs den Kontakt zu ihnen auf – oder die Rapper wuchsen mit den Gangmitgliedern auf und hatten so ihre Seite schon gewählt.»
Die Musik spielte während Alis krimineller Laufbahn eine wichtige Rolle: «Die Lieder sind wie ein Tagebuch der Strasse – Nicht-Eingeweihte verstehen die Texte nicht wirklich», sagt er. «Aber Gang-Kriminelle verstehen, gegen wen ein Diss gerichtet oder was draussen auf der Strasse passiert ist.»
Konnte Preise nicht entgegennehmen, weil er in Haft sass
Einer dieser Rapper, der es von ganz unten bis ganz nach oben geschafft hat, ist «Yasin» Abdullahi Mahamoud (25). Er ist im Stockholmer Vorort Rinkeby geboren und aufgewachsen und hat somalische Wurzeln. Wie viele andere stellte er Videos seiner Raps ins Netz – doch gleichzeitig war er der Polizei zufolge eng mit dem Rinkeby-Netzwerk «Shottaz» verbunden.
«Ich schau immer über meine Schulter, ich kann nicht überrascht werden, Stockholm's finest, bekannt als Top Shottaz»
Yasin sass unter anderem wegen illegalen Waffenbesitzes und Entführung schon oft im Gefängnis. Das schadete seiner Musikkarriere nicht – im Gegenteil: Er gewann mehrere schwedische Musikpreise, die er jedoch nicht immer selbst in Empfang nehmen konnte, weil er hinter Gittern sass.
«Wir haben Kinder, die Männer ermorden, Männer, die ihre Ex-Frauen ermorden.
Menschen schiessen aufeinander, jemand stirbt, aber niemand gewinnt»
Entführt und erniedrigt
Nils «Einár» Grönberg wuchs im südlichen Stockholms-Vorort Enskededalen auf. Mit erst 16 Jahren schrieb er 2019 seinen grossen Hit, der ihn sofort landesweit berühmt machte. Drei seiner vier Alben landeten direkt auf Platz eins der Charts. Auch er gewann zahlreiche schwedische Musikpreise.
«Willkommen in Schweden, Stockholm City – alle können Leben nehmen, bro, sei besser vorsichtig»
2020 wurde Einár entführt. Die Täter luden später erniedrigende Bilder in den sozialen Netzwerken hoch, in denen der Rapper blutverschmiert und in Damenkleidung verkleidet zu sehen war. Später wurden unter anderem die Rapper Yasin und Haval dafür verurteilt.
Vor der Haustür hingerichtet
Im Oktober 2021 wurde Einár mit 19 Jahren vor seiner Haustüre im schicken Stockholmer Quartier Hammarby Sjöstad erschossen. Die Polizei sprach von einer regelrechten Hinrichtung. Bis heute ist der Mord unaufgeklärt.
«Sein Mord öffnete vielen Menschen die Augen», sagt der schwedische Journalist und Szenekenner Diamant Salihu. «Das Problem, das sonst in den Vororten stattfand und Menschen mit Migrationshintergrund betraf, war nun plötzlich im Hinterhof der Mittelklasse angekommen.»

Bei Fans war die Trauer nach dem Tod von Nils «Einár» Grönberg gross. Auch der jetzige Ministerpräsident Ulf Kristersson und weitere Politiker sprachen damals ihre Anteilnahme aus.
IMAGO/TTGangsterrap – ein Werkzeug im Bandenkrieg?
Die Liste von Schwedens Gangsterrappern ist lang. Sie rappen nur darüber, was sie auch selbst erlebt haben – die Authentizität der Texte ist entscheidend. So verblüfft es auch nicht, dass fast alle Artisten dieses Genres umfangreiche Strafakten vorzeigen.
«Wir leben das Leben, von dem wir sagen, dass wirs leben. Lauf rum mit der Pistole, geht es schief, hab ich sie in der Leistengegend»
Der Mord an Einár lancierte eine landesweite Debatte darüber, ob der Gangsterrap die Kriminalität begünstige. In der Politik und bei der Polizei ist man sich sicher, dass die gewaltverherrlichenden Songs einen negativen Effekt auf die Zuhörer haben. Die Musikbranche und die Künstler dagegen unterscheiden zwischen «Kunstwerk» und «Künstler».
*Name geändert.
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