Finanzprofessor«Jede weitere Negativschlagzeile wirkt wie ein Brandbeschleuniger»
Die Angst vor einem Kollaps der Credit Suisse habe sich in den letzten Wochen auf Social Media multipliziert, sagt der Ökonom Maurice Pedergnana. Die CS und die Nationalbank hätten die Auswirkungen unterschätzt.
Darum gehts
Innert Wochen wurde aus der einstigen Grossbank Credit Suisse ein Übernahmekandidat.
Wie konnte es so weit kommen? Und welche Rolle spielten Medien und Social Media dabei?
Antworten liefert Ökonom Maurice Pedergnana.
Herr Pedergnana, seit Monaten kriselt es bei der CS, in den letzten Tagen überschlugen sich die Ereignisse allerdings. Das Schicksal der Bank scheint nun besiegelt. Wie kam es dazu?
Der Niedergang der CS muss im globalen Kontext betrachtet werden: Nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) und der Signature Bank stieg die Nervosität im US-Aktienmarkt enorm. Das Vertrauen in das Bankensystem stand auf wackeligen Beinen. Nach der aus dem Kontext gerissenen Aussage des Chairman der Saudi National Bank auf «Bloomberg», man werde «bestimmt» kein weiteres Kapital in die CS einschiessen, brachen die Dämme. Das Beispiel Credit Suisse zeigt, wie man eine Bank innert 24 Stunden kaputtmachen kann.
Haben dabei auch klassische Medien, die jedes Gerücht kolportieren, eine Mitverantwortung?
Es ist nun mal die Pflicht des Journalismus, über Aktualitäten zu berichten. Und diese sind umso interessanter, je negativer sie sind. Das kann auch mal überzeichnet sein. Dass sich der Fluss von schlechten Nachrichten nicht positiv auf das Vertrauen auswirkt, ist völlig klar. Aussagen wie jene vom gescheiterten Ex-Banker Konrad Hummler, die CS müsse abgewickelt werden, befeuern die Lage zusätzlich. Viel schlimmer als Nachrichtenbeiträge, die meistens mit objektiven Einschätzungen einhergehen, sind allerdings unbegründete Gerüchte auf Social Media.
«Ein solcher Vertrauensverlust ist natürlich verheerend. Jede weitere Negativschlagzeile wirkt da wie ein Brandbeschleuniger.»
Können Sie das ausführen?
Durch Social Media hat sich die Angst vor einem Bankenkollaps multipliziert. Das konnte man auch bereits bei der SVB sehen: Nachdem etwa der im Silicon Valley bestens verankerte US-Milliardär Peter Thiel und andere Personen online dazu aufriefen, Gelder abzuziehen, flossen innert 24 Stunden 42 Milliarden US-Dollar aus der Bank ab – ein Viertel der Bilanzsumme. Es war der erste digitale Bank-Run der Geschichte.
Auch bei der CS gab es in den letzten Tagen auf Social Media einen enormen Druck, Gelder abzuziehen. Dieser Effekt hat sich nur noch verstärkt, seit der einstige Kernaktionär, Harris Associates, Anfang März all seine Aktienanteile verkauft hat. Diese Woche gab die CS im Geschäftsbericht bekannt, im vierten Quartal 2022 über 100 Milliarden an Kundengeldern verloren zu haben. Ein solcher Vertrauensverlust ist natürlich verheerend. Jede weitere Negativschlagzeile wirkt da wie ein Brandbeschleuniger.
Wurde die CS von diesem Druck auf Social Media überrumpelt?
Ja, nicht nur die CS, sondern auch die Zentralbanken waren darauf überhaupt nicht vorbereitet, dass der Schwund an Kundenvertrauen und an Kundengeldern in solch rasendem Tempo voranschreitet. Der Grund für das drohende Ende der CS ist ja nicht rational: Die jüngsten Liquiditätskennzahlen und die Eigenmittelquote der Credit Suisse von 14 Prozent waren beeindruckend. Aber in einer tiefen Vertrauenskrise hilft kein rationales Argument mehr.
Wie meinen Sie das?
Noch in der Finanzkrise 2008 spielte Social Media eine geringe Rolle. Das Reaktionsverhalten der Kundschaft war ein anderes. Das hat sich geändert: Der News-Zyklus auf Twitter und Co. läuft rund um die Uhr. Das bedeutet: Alle Bilanzzahlen, alle Sicherheitsgarantien nützen nichts, wenn sich die Angst auf Social Media verselbstständigt und vervielfacht. Vertrauen ist etwas Emotionales. Vertrauensverlust und Angst können nicht auf rationalem Weg adressiert werden. Darum sind schon Milliarden an Kundengeldern abgeflossen und darum werden noch weitere abfliessen, wenn es nicht zur Übernahme kommt. Gibt es einen solchen Herdentrieb, ist man praktisch wehrlos.
«Alle Bilanzzahlen, alle Sicherheitsgarantien nützen nichts, wenn sich die Angst auf Social Media verselbstständigt und vervielfacht.»
Hat sich die CS den Vertrauensverlust nicht selbst zuzuschreiben?
Das ist sicher so. Aber nicht seit wenigen Tagen, sondern seit vielen Monaten, ja seit vielen Jahren: Greensill, Archegos, Geldwäsche, Überwachungsaffäre: Die CS liess in den letzten Jahren praktisch kaum einen Skandal aus. Die Kundschaft goutiert es nicht, wenn die eigene Bank alle zwei Wochen negative Schlagzeilen liefert. Die Credit Suisse abzuwickeln – also in den Tod zu schicken –, würde allerdings gar keinen Sinn machen: Dafür gibt es zu viele gute, kompetente Bereiche innerhalb der Bank.
Inwiefern sind die Finanzmarktaufsicht (Finma) und die Schweizer Nationalbank (SNB) an einer Lösung interessiert?
Es gilt mit allen Mitteln, die Finanzmarktstabilität, national wie auch global, aufrechtzuerhalten, im Interesse der Schweizer Aufsichtsbehörden, aber auch im Interesse der vielen Privat- und Firmenkunden. Da geht es um Hunderttausende von Menschen, KMUs, Konzerne, die sich schon am Montagmorgen wieder 100 Prozent auf ihre Aufgabe konzentrieren wollen und nicht Geld von der Bank A zur Bank B transferieren möchten.
Mit dem Financial Stability Board der weltweit wichtigsten Bankenaufseher hat man seit der letzten Finanzkrise jährlich jene global systemrelevanten Banken identifiziert, die nicht kollabieren sollen. An sie werden besonders hohe Auflagen gestellt. Die Abwicklung von Lehmann Brothers dauert nun schon 14 Jahre und dürfte erst in drei Jahren abgeschlossen sein. So etwas soll sich nicht wiederholen. Deshalb vertrauen die anderen Zentralbanken darauf, dass unter dem Druck von Finma und SNB noch am Sonntag eine rasche Lösung herbeigeführt werden kann. Eine Übernahme durch die UBS oder den Bund ist die logische, schmerzhafte Konsequenz.
«Eine Übernahme durch die UBS oder den Bund ist die logische, schmerzhafte Konsequenz.»

Maurice Pedergnana ist Professor für Banking und Finance an der Hochschule Luzern und Studienleiter am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ). Zudem ist er Chefökonom der Zugerberg Finanz AG.
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